Kürzlich kam es zur Korrektur bzw. Änderung der höchstgerichtlichen Rechtsprechungslinie zum Schadenersatz bei „wrongful birth“ und „wrongful conception“ durch einen verstärkten Senat. Der Oberste Gerichtshof (OGH) kann von den dabei formulierten Rechtssätzen nur durch eine neuerliche Entscheidung eines verstärkten Senats abgehen.
„Wrongful birth“ meint typischerweise Fälle, in denen bei einer pränataldiagnostischen Untersuchung eine (schwere) Behinderung des Kindes übersehen wird, weshalb die Schwangere nicht die Möglichkeit hat, (rechtmäßig) einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Die Schwangere hätte das behinderte Kind jedoch abtreiben lassen, wenn sie über dessen Behinderung informiert worden wäre.
Von „wrongful conception“ spricht man, wenn eine Schwangerschaft mit einem gesunden Kind trotz medizinischer Maßnahmen zu deren Unterbindung aufgrund eines Behandlungsfehlers eingetreten (z.B.: fehlgeschlagene Vasektomie oder Eileiterunterbindung, gebrochene Spirale) ist und das unerwünschte Kind in weiterer Folge geboren wurde.
In beiden Konstellationen ist fraglich, ob die für das Kind Unterhaltspflichtigen – also in der Regel die Eltern – den Unterhaltsaufwand im Wege des Schadenersatzrechts ersetzt bekommen können.
Die höchstgerichtliche Rechtsprechung beantwortete dies für „wrongful birth“ und „wrongful conception“ bislang unterschiedlich:
Ein Kind an sich sei zwar kein Schaden im Rechtssinn, die (gesamte) Unterhaltspflicht für ein behindertes Kind („wrongful birth“) hingegen schon. Anderes galt laut OGH bei der Geburt eines unerwünschten, aber gesunden Kindes („wrongful conception“) – in diesem Fall sei die Unterhaltspflicht für dieses gerade kein Schaden (sofern diese keine außergewöhnliche, geradezu existenzielle Belastung wegen der vorhandenen geringen Unterhaltsmittel darstelle).
In den Fällen von „wrongful conception“ bestand demnach grundsätzlich schon mangels Schadens kein Schadenersatzanspruch, bei „wrongful birth“ hingegen bei Vorliegen der übrigen schadenersatzrechtlichen Voraussetzungen (Rechtswidrigkeit etc.) schon.
Diese Differenzierung wurde wiederholt und heftig kritisiert.
Der Entscheidung des verstärkten Senats liegt ein Fall von „wrongful birth“ zugrunde: Das Kind kam ohne die linke obere Extremität zur Welt (Invalidität von 70 bis 80 %). Der Beklagte hatte dies im Rahmen der Pränataldiagnostik mittels Ultraschalls übersehen. Die klagenden Eltern hätten das Kind abgetrieben, wenn ihnen im Rahmen der Ultraschalluntersuchung oder später mitgeteilt worden wäre, dass ihrem Kind eine obere Extremität zur Gänze fehlt.
Anlässlich dieses Falls kam der verstärkte Senat in Abkehr zur bisherigen Judikatur und nach eingehender Darlegung des Meinungsstands zu folgenden Ergebnissen:
Der Oberste Gerichtshof hat demnach vor allem die bisherige Differenzierung in puncto Schaden bei „wrongful birth“ und „wrongful conception“ aufgegeben. Auch bei „wrongful conception“ ist somit der gesamte Unterhaltsaufwand für das Kind als Schaden zu qualifizieren.
Hervorzuheben sind insbesondere folgende Überlegungen des Senats:
Das Entstehen einer Unterhaltsverbindlichkeit erfülle den geltenden weiten Schadensbegriff. Die Geburt/Existenz eines Kindes an sich stelle hingegen keinen Schaden dar, sondern sei bloß kausale Voraussetzung für das Entstehen dieses Schadens. Aus dem Gesetz sei keine sachliche Grundlage für eine Verschiedenbehandlung der Fälle von „wrongful birth“ und „wrongful conception“ abzuleiten. Es sei nicht die Aufgabe der Gerichte, ethische oder moralische Fragen zu lösen. Gerichte hätten vielmehr das Gesetz anzuwenden.
In den „wrongful birth“-Fällen scheide eine Begrenzung der Ersatzpflicht auf den behinderungsbedingten (Unterhalts-)Mehraufwand aufgrund von Kausalitätsüberlegungen zwingend aus: Hätte sich der Schädiger dabei rechtmäßig verhalten, wäre das Kind aufgrund der dann veranlassten Abtreibung nicht auf die Welt gekommen, weshalb nur die Situation mit und ohne Kind verglichen werden könne.